Lecture #2 Filmtheorie:
Im Film wird nicht nur mit Worten erzählt, sondern auch mit den Elementen im Bild, also mit Zeichen, bzw. der Komposition und Aufbereitung des (Kamera-)Bildes und seiner Gegenstände und Bewegungen => dadurch entsteht einerseits eine emotionale oder intellektuelle Filmsprache (Bildsprache), und andererseits erzählen diese „Zeichen“ oder Codes auch eine parallele Geschichte, den Subtext. Filmsprache wird von den Zuseher*innen also entweder bewusst durch Denkarbeit erfasst und interpretiert oder auch unbewußt emotional aufgenommen, ohne dass man sich aktiv damit auseinandersetzt. Die Aufgabe des Filmemachers/der Filmemacherin ist, diese Filmsprache gekonnt zu erschaffen und zu steuern. Alles, also alle Elemente, die in einem zweidimensionalem Filmbild enthalten und wie sie in der Zeit und in der Bewegung angeordnet sind, beeinflusst die Stimmung, die Tonalität, die Emotionalität und den intellektuellen Gehalt der filmischen Erzählung. In einem zweidimensionalen Filmbild herrscht eine mehr oder weniger bewusst komponierte Anordnung von Elementen, also Objekten und Lebewesen, die alle die Erzählung und die Wirkung auf die Zuseher*innen beeinflussen. Diese
ZEICHEN: Was sind Zeichen? Es sind einerseits Symbole, andererseits Verweise auf etwas, also man spricht auch von filmischen Codes. In unserer gesprochenen und geschriebenen Sprache sind die Buchstaben und die Laute die Zeichen, also die Codes mit denen wir uns verständigen. Im Filmbild kann man viel mehr ausdrücken als durch Worte, das Filmbild ist konkreter als die gesprochene/geschriebene Sprache, dennoch sind auch diese konkreten Zeichen im Bild Symbole, die eine Mehrdeutigkeit, eine Interpretation zulassen. Filmsprache, also die „Sprache“ der Zeichen ist quasi überall auf der Welt verständlich, ohne dass es eine Übersetzung in die jeweilige Landessprache bedarf. Film-Codes sind aber nicht nur auf die Elemente innerhalb der Einstellung beschränkt, sondern verhalten sich auch im Kontext zueinander. Vereinfacht gesagt ist der Schnitt, also die Auswahl und Aneinanderreihung der Einstellungen, vergleichbar mit dem Satzbau, also den Syntax in der geschriebenen und gesprochenen Sprache. So wird der Rhythmus und somit die Erzählstruktur bestimmt. Ein weiterer Code der Filmsprache ist die Kameraeinstellung und die Kamerabewegung, die auch ein wesentliches Element der filmischen Erzählung ausmacht.
Hier nun ein kleiner filmtheoretischer Ausflug in die Grundzügen der Filmsprache und der visuellen Aufmerksamkeitslenkung:
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1. Anordnung der Objekte: bei Abbildung 1A sind die Objekte an der Wand ungleichmäßig verteilt. Ein Kameramann würde sofort von „einem Loch“ auf der rechten Seite sprechen und würde veranlassen, dass dort etwas hingehängt oder hingestellt werden würde. Die ungleichmäßige Verteilung der Anordnung hinterlässt ein Gefühl der Unruhe.
Bei Abb. 1B wiederum hängt nun ein Bild in der zuvor „leeren“ rechten Seite, jedoch hängt es zu sehr im Eck. Es zieht die Aufmerksamkeit zu sehr auf sich, und das nicht im positiven Sinn. Das Bild drängt nach oben rechts, es herrscht eine visuelle Spannung, die ein fast mulmiges Gefühl hinterlässt.
Bei Abb. 1C hängt nun alles so wie es sein soll, zumindest sagt uns das unser Gefühl für Symmetrie und Ausgeglichenheit.
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2. Bildaufteilung: die Linie des Horizonts durch die Mitte ist weniger dynamisch als die 2:1/3:1 Aufteilung der Meeresküste. Das Gleichgewicht, und somit die visuelle Spannung, zieht unsere Aufmerksamkeit auf den Teil des Bildes, der vorherrscht. Klingt selbsterklärend, muss aber auch erst begriffen werden.
3. Das Thema Ausgewogenheit: in Abb. 3A steht das Dreieck schief. Man neigt dazu, es aufzurichten, und zwar so, dass eine der Längsseiten parallel zum Boden verläuft, mit der Spitze nach oben. Abb. 3B, Es herrscht eineTendenz zur Symmetrie vor.
4. Die visuelle Spannung: Das Dreieck steht im Rechteck ziemlich genau in der Mitte. Abb. 4A. Man hat hierbei das Gefühl, es will nach oben, also in die Richtung seiner Spitze, wandern. Wenn es aber etwas mehr „Luft“, also Raum, bekommt in die „Blickrichtung“ wo die Spitze hinzeigt, ist es zwar nicht mehr "ausgewogen" in der Mitte, aber es scheint für uns beim Betrachten richtiger zu sein. Abb. 4B
Diese Theorie stimmt auch, wenn man des Rechteck stürzt und dadurch quasi ein Filmformat entsteht. Abb. 4C
Das Dreieck, das nicht in der Mitte steht, sondern in „Blickrichtung“ Raum, also „Luft“, bekommt, hinterlässt einen harmonischeren Eindruck.
5. In die Blickrichtung "Luft geben", „Kopfluft“, bedeutet ins Bild hineinschauen. Das wird als positiv, mittlerweile quasi als Standard angenommen. Wiederum aus dem Bildrand hinausblicken wirkt verstörend und nicht richtig. Das wird dann mit einer psychischen Störung oder einer gefahrvollen Situation assoziiert. In dem Kultfilm Taxi Driver verändert sich die Hauptfigur zu einer radikalen Persönlichkeit, was sich auch in den Blicken anfänglich ins - und schließlich aus dem - Bild widerspiegelt. Bei dem Protagonisten von In the Mood of Love zeigt sich seine momentane Lebens-Situation in dem spröden Blick aus dem Bild hinaus. Der Zuseher kann nicht erkennen, mit wem der Protagonist spricht, seine Gefühlswelt als er mitbekommt, dass ihn seine Frau betrügt, wird aber auch durch die Komposition des Filmbildes erzählt. (Filmausschnitte: Taxi Driver, 1976, R: Martin Scorsese/In the Food für love, 2000, R: Wong Kar-Wai)
PASSWORT: filmsprache
6. Zwei simple Gruppenchoreografien zum Vergleich: eine Gruppe von Business-Leuten für ein Gruppenfoto aufgereiht, sieht herkömmlich, also fad aus, wiederum die Zickzack-Linie bei Rembrandt (De Staalmeesters) erzeugt eine interessante visuelle Spannung
7. Framing: der Rahmen im „Bildrahmen“, also in der durch das Filmformat vorgegeben Umrandung. Damit wird das Hauptaugenmerk gezielt auf das Zentrum oder eine bestimmte Stelle im Filmbild gelenkt. Man kennt das auch von Werbefotos z.B. wie hier von einer Urlaubsdestination. Wichtige oder besonders schöne Stellen werden dadurch noch mehr betont und durch eine Umrandung auch ästhetisch oder inhaltlich hervorgehoben. Es ist das Prinzip des "eye catcher". (Oft verwenden junge Filmemacher auch ein Output Blanking, z.B. im Verhältnis 1:2,39, also die schwarzen Streifen ober- und unterhalb des Filmbildes. Dadurch täuscht man nicht nur ein Kino oder cineamscope-feeling vor, sondern die Farben erscheinen auch stärker, also gesättigter.)
8. Diese Strategie kann auch filmerzählerisch angewandt werden: der Junge, um den sich das Gespräch der Erwachsenen dreht, ist ständig im Bild, eingerahmt - und damit ständig im Fokus der Erzählung. Subtext: die Erwachsenen besprechen seine Zukunft in einem strengen Eliteinternat für Superreiche, während der junge "Citizen Kane" im Schnee unwissend über seine Bestimmung noch die letzten Momente seiner sorglosen Kindheit genießt. (Citizen Kane, 1941, R: Orson Welles)
PASSWORT: filmsprache